Radio Ulisse Bozen

SENDESTART:  1980

SENDESCHLUSS:  Frühjahr 1984

SITZ: Bozen – Mailandstrasse 68

EIGENTÜMER / INHABER:
Giorgio Tireni; Dr. Josef Perkmann (Verantwortlicher)

Radio Ulisse existierte lediglich in der Zeit von 1980 bis Anfang 1984 und war ein gewerkschaftlich orientierter, der Kommunistischen Partei Italiens nahe stehender Radiosender. Beheimatet im Bozner Shanghai Viertel, befand sich das Studio im Keller des Hauses Mailandstrasse 68. Als "Shanghai-Viertel" wird in Bozen das Semirurali-Viertel genannt, in den 70iger und 80iger Jahren geprägt von "Wolkenkratzern" und noch überwiegend italienischsprachigen Einwohnern, das bei vielen Einwohnern Bozens dem Ruf eines Ghettos anhaftete. Für ein gewerkschafts-kommunistisch geführtes Radio war es aber sicherlich der richtige Standort, da man seinem Klientel dadurch auch örtlich verbunden war. Im Shanghai-Viertel befand sich ein Kulturzentrum, geführt von der Gewerkschaft als eine Art offenes Haus/Begegnungszentrum.

Die Idee, ein eigenes Radio zu gründen, kam Anfang 1980 von einem technisch versierten jungen Mitglied der Gewerkschaft namens Aldo Balzanelli, mittlerweile Redakteur bei "La Republica". Dieser schlug der Leitung der Gewerkschaft vor, dass es effektiver wäre, das eigene Anliegen über einen eigenen Radiosender zu verbreiten anstatt Flugblätter zu verteilen, mit denen man lediglich einen begrenzten Kreis von interessierten Einwohnern Bozens erreichen könnte. Das Konzept eines eigenen Radios wurde dann entsprechend den Gremien der Gewerkschaft vorgestellt und anschließend auch von diesen abgesegnet. Hauptargument waren die doch recht geringen Kosten für den Betrieb eines Radios im Vergleich zu andere Werbemaßnahmen, die man hätte ergreifen können.

Die Zeit, ein gewerkschaftlich orientiertes Radio zu gründen, war um 1980 günstig. Die allgemeine wirtschaftliche Rezession ab Mitte der 70iger Jahre machte sich in Bozen stärker bemerkbar als im übrigen Land und betraf die italienische Sprachgruppe stärker als die deutschsprachigen Bewohner. Bozen wurde durch seine Industriezone zum "Krisengebiet" des Landes. Einige der größten Betriebe in der Grundstoff- und metallverarbeitenden Industrie kamen in Schwierigkeiten, so etwa die Lancia-Iveco und die Alumina. Es kam zu zahlreichen Entlassungen. Die Gewerkschaftsführung ließ dem Initiator und seinen Mitstreitern dann auch relativ umfassenden Raum, die eigenen Ideen zu verwirklichen. So wurde auch viel unabhängige Musik gespielt, in die dann das Gewerkschaftsprogramm integriert wurde. Der Name des Radios - "Ulisse" - kam ebenfalls von dem Initiator des Radios. Einzige Vorgabe war, das Radio nicht unbedingt "Radio der KPI" oder ähnlich zu benennen, vor dem augenscheinlichen Hintergrund, potenzielle Hörer nicht von vornherein abzuschrecken. Als Eigentümer trat bei Radio Ulisse Giorgio Tireni in Erscheinung, presserechtlich verantwortlich und Hauptansprechperson war Dr. Josef Perkmann. Dieser war Gewerkschaftsführer und damals Hoffnungsträger der KPI.

Im Jahre 1980 mussten die Sendungen von Radio Ulisse für einige Monate ausgesetzt werden, nachdem Aldo Balzanelli aus Arbeitsgründen Radio Ulisse nicht weiter betreuen konnte. Letztendlich kümmerte sich dann nach der Wiederaufnahme der Sendungen bis zum Sendeschluss Roberto Celli um Radio Ulisse, damalig ein junger Mitarbeiter in der Landesleitung des Bozners Ableger der Partei KPI. Bereits im Jahr 1984 kam das Aus von Radio Ulisse. Eigentlicher Auslöser war eine sich anbahnende Finanzkrise der Gewerkschaften durch Mitgliederschwund, welche auch Auswirkungen auf Radio Ulisse hatte. Der Vorstand der Gewerkschaft kalkulierte die Kosten des Betriebs eines Radios neu und kam zu dem Ergebnis, dass es alleine durch die Mitgliedsbeiträge pp. nicht zu finanzieren wäre. Man stand vor der Entscheidung, einerseits neue Geldquellen zu erschließen, wobei Werbung für einen Gewerkschaftssender bzw. politisches Radio problematisch gewesen wäre. Andererseits hätte man auch in das technische Equipment investieren müssen, um weiterhin gut in Bozen empfangbar zu sein. Die Entscheidung war letztendlich, Radio Ulisse wieder zu schließen. Das Inventar hatte keinen erheblichen finanziellen Wert mehr, so dass kein wirklicher Verkauf des Radios stattfand, sondern die Frequenz und die Gerätschaften und Sendeanlage bzw. Umsetzer des Radios symbolisch für 1 Lira an zwei junge Leute verkauft wurden. Diese beiden wollten das Radio umbenennen und die Frequenz kommerziell nutzen Hierzu kam es jedoch nie.

Gesendet wurde das Programm von Radio Ulisse auf der Frequenz 93.7 FM. Zu hören war Radio Ulisse lediglich im Stadtgebiet Bozens. Das Programm wurde vom Dach des Wohnhauses in der Mailandstrasse auf einen umliegenden Berg gesendet und von dort dann Bozen versorgt. Sendesprache von Radio Ulisse war zum ganz überwiegenden Teil italienisch, nur gelegentlich wurde in deutscher Sprache moderiert. Was schrieb Dr. Josef Perkmann 2008 über Radio Ulisse: "Radio Ulisse war eine rote Tulpe im Garten der Privatsender, die in den 70iger Jahren erstmals zugelassen wurden und überall Frühlingsluft witterten. Und wie es bei Tulpen üblich ist, besonders bei hellroten, ist auch Radio Ulisse ziemlich schnell verblüht."

Das Porträt von Reiner Palma basiert auf einem Interview mit Dr. Josef Perkmann im September des Jahres 2009.